Dienstag, 23. März 2021

Chiron in der Mythologie


Chiron ist ein Asteroid (Kleinplanet), der in Astrologie-Kreisen oft als der „verwundete Heiler“ bezeichnet wird. Diese Bezeichnung geht auf einen bestimmten Teil der Geschichte der mythologischen Figur zurück, nach der dieser Asteroid benannt wurde.


Chiron unterrichtet den jungen Achilles, John Singer Sargent, Wikimedia


Chiron war ein Zentaur, ein mythisches Mischwesen, das halb Tier und halb Mensch war. Die obere Hälfte seines Körpers war menschlicher Natur und von der Taille abwärts hatte er einen Pferdekörper. Saturn*, der Gott der Ackerbaus und der Aussaat, hatte sich der Titanentochter Philyra in Gestalt eines Pferdes genähert und sie auf diese Art begattet. Da Saturn mit Ops** verheiratet war, wollte er seine Untreue verbergen, indem er sich zur Tarnung in ein Pferd verwandelt hat. Philyra wurde von Saturn geschwängert und da sie einen menschlichen Körper hatte und er zur Zeit der Zeugung einen Pferdekörper hatte, wurde das Kind, das aus der Begattung hervorging, als ein Zentaur geboren. Die Pferdegestalt von Saturn ist nicht nur ein Zeichen der Verkleidung. Da die Mythologie von Symbolen lebt, kann die Verwandlung Saturns in ein Pferd auch als ein Zeichen seiner Leidenschaft verstanden werden, denn Pferde verkörpern körperliche Kraft und sexuelle Macht.

* Der römische Gott Saturn wurde der griechischen Mythologie entlehnt, in der er den Namen Kronos trug.

** Saturns Frau Ops wurde ebenfalls der griechischen Mythologie entlehnt, in der sie Rhea hieß.

Philyra empfand ihr außergewöhnliches Kind als eine Missgeburt und da sie zutiefst beschämt war ein solches Wesen hervorgebracht zu haben, verstieß sie ihr Zentaur-Baby gleich nach dessen Geburt. Ihrer Scham konnte sie sich aber durch die Verstoßung ihres Kindes nicht entledigen, sie wurde fast aufgefressen von Schamgefühlen. Um dem zu entkommen bat Philyra den Gottvater Jupiter* ihre Gestalt zu verändern. Ihr Wunsch wurde ihr gewährt und Jupiter verwandelte sie in eine Linde. Die Linde ist ein Symbol für Gerechtigkeit, Liebe, Frieden, Heimat und sie fungiert als ein Platz der Gemeinschaft. Die Linde ist eine „mütterliche Baumpersönlichkeit“, die mit ihren herzförmigen Blättern, ihrem süßem Blütenduft und ihrer ausladenden Baumkrone Geborgenheit vermittelt.** Als „mütterlicher Baum“ konnte Philyra der Welt dann etwas geben, was sie ihrem eigenen Kind nicht geben konnte.

* Der römische Gott Jupiter wurde dem obersten Gott der griechischen Mythologie entlehnt, in der er den Namen Zeus trug.

** Quelle zur symbolischen Bedeutung von Bäumen: https://www.uni-goettingen.de/de/symbolik-der-linde/41770.html

Auch der Teil des Mythos lässt Spielraum für unterschiedliche Interpretationen, denn die Begattung von Philyra kann auch als eine Vergewaltigung verstanden werden. In dem Fall könnte Philyra eine doppelte Scham empfunden haben, zum einen die Scham vergewaltigt worden zu sein und zum anderen die Scham ein Geschöpf auf die Welt zu bringen, dessen körperliche Erscheinung sehr deutlich zeigt, dass es nicht von einem männlichen Wesen ihrer Art gezeugt wurde. Wenn Philyra zu ihrem Kind gestanden hätte, hätte sie auch zu der Tatsache stehen müssen, dass sie Sex mit einem Pferd* gehabt hat. Eine weitere Interpretation lässt den Gedanken zu, dass Philyra durchaus Gefallen daran gefunden haben könnte von einem Hengst begattet zu werden, denn der Geschlechtsakt mit Pferden ist seit jeher eine verbreitete sexuelle Phantasie. Da sexuelle Phantasien oft mit Tabus behaftet sind, sind sie auch häufig mit Scham besetzt. Nicht selten müssen Kinder unter der unverarbeiteten Scham ihrer Eltern leiden, denn eine nicht verarbeitete Scham der Eltern wird auf die eine oder andere Art auf ihre Kinder übertragen. Im Chiron Mythos spielt das Thema Ablehnung eine entscheidende Rolle und die Scham, die oft aus der Ablehnung resultiert.

* Ergänzung: Oft gibt es zu den Mythen verschiedene Versionen, ähnlich wie es verschiedene Märchen- oder Bibelversionen gibt. Je nachdem wann und von wem die jeweilige Version verfasst wurde, wird der Mythos unterschiedlich geschildert. Es gibt auch eine Version von dem Mythos von Chiron, in der sich Philyra in eine Stute verwandelt hat, um schneller vor Saturn/Kronos fliehen zu können. Da er sich daraufhin in einen Hengst verwandelt hat, konnte er sie aber doch noch einholen und sie dann besteigen. Aus dieser Fassung geht deutlich hervor, dass es sich um eine Vergewaltigung handelte. Dennoch beziehe ich mich in diesem Text auf die Version, in der davon ausgegangen wird, dass Philyra einen menschlichen Körper hatte, weil das so schön verdeutlicht warum Chiron halb Pferd und halb Mensch war.

Das Schicksal meinte es aber gut mit Chiron und er sollte nicht als Waisenkind verenden. Apollon, der Sonnengott und Artemis, die Mondgöttin, nahmen den jungen Zentaur unter ihre Fittiche und sie unterwiesen ihn in zahlreichen Disziplinen, unter anderem lehrten sie ihn das Bogenschießen und die Heilkunst. Chiron entwickelte sich prächtig und im Laufe der Jahre wurde er selbst zu einem hochrangigen Lehrmeister. Chiron unterrichtete die größten Heroen der Antike und sogar einige Götter lernten von ihm. Chiron war als der weiseste, gerechteste und kultivierteste Zentaur bekannt, denn die anderen Zentauren galten als rohe, primitive Raufbolde, die auf ihren Streifzügen auch vor Plünderungen, Nötigungen und Vergewaltigungen nicht zurückschreckten. Die meisten Zentauren waren bei den Menschen wie bei den Göttern unbeliebt und sie wurden sehr gefürchtet.

Eines Tages gerieten die Zentauren wieder einmal in einen Streit, bei dem es dann wild zur Sache ging. Der Held Herakles (Herkules) war zu Gast bei den Zentauren. Herakles wurde zur Zielscheibe ihrer Wut als Pholus, einer der Zentauren, der wie Chiron kultivierter war, einen Krug Wein mit dem Helden teilen wollte. Der Alkohol war den Zentauren vom Wein- und Ekstase-Gott Dionysos gestiftet worden und sie sahen es offenbar überhaupt nicht ein ihn mit Herakles zu teilen. Zwischen den Zentauren und Herakles entbrannte ein wildes Gefecht, bei dem dann mehrere Zentauren von Herakles getötet wurden. Auch Chiron geriet in diese Rangelei, vielleicht wollte er den Streit zwischen Herakles und seinen Artgenossen schlichten. Wie es das Schicksal wollte wurde Chiron im Eifer des Gefechts von einem der vergifteten Pfeile des Herakles am Knie getroffen.

Der Mythos lässt die Frage offen, ob Chiron aufgrund seiner eigenen Unvorsichtigkeit verletzt wurde oder ob seine Verwundung durch die Unachtsamkeit von Herakles zustande kam. Die Schuldfrage konnte also nie ganz geklärt werden, was eine entscheidende Rolle im Mythos von Chiron spielt. Auf jeden Fall handelte es sich aber um einen schrecklichen Unfall, der Chiron von da an dazu verdammte unsägliche Qualen zu erdulden. Ausgerechnet er, der alle anderen heilen konnte, vermochte seinen eigenen Schmerz nicht zu lindern, geschweige denn, dass er seine Wunde heilen konnte.

Chiron zog sich in seine Höhle zurück und er versuchte mit wachsender Verzweiflung sein verwundetes Knie zu heilen. In der Mythologie ist nichts dem Zufall überlassen. Jeder einzelne Punkt einer mythologischen Geschichte ist wohlüberlegt und wenn etwas nicht eindeutig benannt wird, dann hat das die Absicht dem Leser Raum für eigene Interpretationen zu geben. Das Körperteil der Verwundung wurde in Chirons Fall eindeutig benannt und von daher kommt es nicht von ungefähr, dass Chiron ausgerechnet am Knie verwundet wurde, denn das Knie korrespondiert astromedizinisch mit Saturn. Knie-Probleme werden in der Astromedizin mit Saturn-Problemen in Verbindung gebracht. Chiron wurde also genau da verletzt, wo es ihn von Geburt an am meisten schmerzte, nämlich am väterlichen Erbe, denn sein Vater Saturn war ja der Ursprung seiner Pein. In Chirons Fall kommt zur Vater-Wunde auch noch die Mutter-Wunde hinzu, denn seine Mutter hätte vieles ausgleichen können, wenn sie zu ihrem Zentauren-Kind gestanden hätte. Wenn sie jedoch tatsächlich vergewaltigt worden ist, kann man ihr kaum zum Vorwurf machen, dass es ihr schwerfiel ihr Kind anzunehmen. Auch in dem Fall ist es problematisch einen eindeutigen Schuldigen zu finden.


Weiblicher Zentaur, 18. Jahrhundert, Bodleian Libary, Oxford


Nicht einmal Chirons geliebte Frau Chariklo vermochte seinen Schmerz zu lindern und da der Zentaur göttlicher Abstammung war, konnte er nicht sterben. Jahr um Jahr stand Chariklo dem leidenden Chiron zur Seite, aber sie konnte nur hilflos mit ansehen wie ihr über alles geliebter Mann vor sich hin siechte. Als der Zentaur irgendwann keinen anderen Ausweg mehr wusste, bat er den Gottvater Jupiter darum ihm seine Unsterblichkeit zu nehmen und dafür den für immer zum Leid verdammten Prometheus zu erlösen. Prometheus war, im Gegensatz zu Chiron, nicht durch einen Unfall zum Leid verdammt, sondern wegen einer Straftat. Prometheus hatte den Göttern das Feuer gestohlen und es den Menschen zur Verfügung gestellt. Er wurde damit bestraft, dass er an einen Felsen gekettet wurde und Tag ein Tag aus kam ein Adler herbeigeflogen, der seine Leber auffraß. Da sich seine Leber aber immer wieder von selbst erneuerte, sollte sein Leid nie enden. Der Gott der Götter hatte entschieden, dass Prometheus nur von seinem Leid erlöst werden könnte, wenn ein Unsterblicher sein Leben für ihn opfern würde. Als Chiron sich dann anbot seine Unsterblichkeit für Prometheus zu opfern, war Jupiter über diesen heldenhaften Einsatz zutiefst gerührt, so dass er ihm zwar seine Unsterblichkeit als körperliches Wesen nahm, ihn dafür aber als Sternbild im Himmel verewigte. Fortan sollte Chiron als das Sternbild Zentaur für immer im Himmel verweilen. 




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